Stellungstechniken

Im Allkampf gibt es diverse Stellungen (jap. 立ち技, tachiwaza, wörtlich Stellungstechnik), die ein Kampfsportler im Training, Formenlauf oder Kampf auftretenden Situationen einsetzt. All diesen Stellungen ist gemeinsam, dass sie auf verschiedene Art und Weise für Stabilität, Flexibilität und Beweglichkeit sorgen. Jede Stellung setzt jedoch ihre eigenen Schwerpunkte, die teilweise aus der Philosophie der zugrunde liegenden Stilrichtung begründet sind. So ist beispielsweise der im Shōrei-Ryū entwickelte Sanchin-Dachi eine sehr kraftvolle, statische Stellung, während die Neko-Ashi-Dachi Beweglichkeit vor Stabilität stellt.

Unabhängig von der Stilrichtung gilt im Kampfsport der Grundsatz, dass die Stellung das Fundament einer jeden Technik bildet, ohne das die Technik sich nicht entfalten kann. Nicht umsonst ist im Japanischen nicht von „Stellungen“, sondern von „Stellungstechniken“ die Rede, was die Bedeutung der korrekten Ausführung von Stellungen unterstreicht.

Überblick

In einem Kampf sind die Beine, die Verbindung zwischen Körper und Boden, sowohl für die Bewegung im Raum als auch für die Stabilisierung des Sportlers und damit maßgeblich für die Wirksamkeit der angewendeten Techniken verantwortlich. Daher muss die Stellung immer an Faktoren wie die konkrete Situation, die Physis der Kombattanten, die Technik und die Kampftaktik angepasst sein, was unendliche Variationen und Zwischenstellungen erfordert. Bei der Beschreibung und Vermittlung beschränkt man sich daher meist auf einige wenige, prototypische Stellungen, die in Gestalt und Funktion deutlich voneinander zu unterscheiden sind und zugleich möglichst alle Einsatzgebiete abdecken. Diese Auswahl ist jedoch keineswegs festgelegt, sondern je nach Kampfsportart leicht verschieden und einem zeitlichen Wandel unterworfen. Masatoshi Nakayama beispielsweise beschreibt 15 verschiedene Positionen, die in den Kata des Shōtokan-Karate auftreten. Jedoch gibt es auch Autoren, die sich noch weiter auf einen aus ihrer Sicht zentralen Teil der Stellungen beschränken. Gichin Funakoshi etwa benennt nur sieben Stellungen: Heisoko-Dachi, Hachiji-Dachi, Zenkutsu-Dachi, Kokutsu-Dachi, Neko-Ashi-Dachi, Kiba-Dachi und Fudo-Dachi.

Namensgebung

Die Namen aller Stellungen kommen aus dem Japanischen. Stellung heißt auf Japanisch tachi (立ち), und vor diesem Wort steht jeweils eine Beschreibung der Stellung. Dabei ändert sich der Anlaut des Wortes tachi zu einem d, es heißt daher Zenkutsu-Dachi.

Eigenschaften

In allen Kampfkünsten lassen sich Stellungen grob in zwei Kategorien aufteilen: Zum einen in eher passive Grundstellungen und zum anderen solche, die zur Vorbereitung bzw. während der Ausführung einer Technik eingesetzt werden. Ihre Eigenschaften lassen sich in den folgenden Kategorien beschreiben:

  • Ausrichtung (frontal, seitlich)
  • Distanz (kurz, weit)
  • Verteilung des Körpergewichts
  • Stabilität
  • Flexibilität

Ausrichtung und Distanz beschreiben das Verhältnis zum (imaginären) Gegner: Wendet man ihm Front oder Flanke zu, übt man Druck aus oder zieht man sich zurück? Stabilität bedeutet die Fähigkeit, Kraft an den Gegner zu übertragen oder von ihm zu übernehmen, und Flexibilität beschreibt, wie leicht man seine Position im Raum verändern kann. Während Ausrichtung und Distanz frei gewählt werden können, sind Stabilität und Flexibilität zwei gegensätzliche Ziele. Erstere lässt sich erreichen durch

  • einen tiefen Schwerpunkt,
  • damit verbunden eine große Standfläche,
  • eine starke Haltemuskulatur und
  • mehr Körpergewicht.

All diese Aspekte wirken gleichzeitig der Flexibilität entgegen. Zur Konditionierung werden für gewöhnlich alle Stellungen im Training tiefer und mit einer größeren Standfläche als in der realen Anwendung durchgeführt. Diesen Unterschied verdeutlicht sehr anschaulich folgendes Zitat Funakoshis:

„Die Reiterstellung [Kiba dachi] zum Beispiel sieht sehr einfach aus, aber Tatsache ist, dass niemand sie beherrschen kann, auch wenn er ein ganzes Jahr jeden Tag übt, bis ihm seine Füße schwer werden wie Blei.“ – Gichin Funakoshi: Karate-Dô – Mein Weg

 

Grundstellungen

Grundstellungen (jap. 自然体, Shizentai, wörtlich natürliche Körperhaltung) sind dafür konzipiert, über lange Zeit aufrechterhalten zu werden. Sie werden im Kampfsport meist in Situationen eingesetzt, in denen keine direkte Bedrohungssituation vorliegt. In ihnen drückt sich vielmehr eine grundsätzliche Bereitschaftshaltung aus. Zur weitgehenden Entlastung sind die Beine fast gestreckt (die Knie jedoch nicht durchgedrückt), der Oberkörper aufrecht. Stabilität tritt deutlich in den Hintergrund gegenüber der Möglichkeit, sich nach einer potentiell langen Ruhephase schnell in eine effektive Kampfhaltung zu begeben. Der Körper ist in den meisten Grundstellungen dem Gegner zugewandt, ohne dass ein besonderer Abstand zum Partner angenommen würde. Ausnahmen bilden Teiji-Dachi und Renoji-Dachi, in denen der Körper abgedreht und etwas zurückgezogen ist. In der Selbstverteidigung kommt den Grundstellungen außerdem neben der Flexibilität eine deeskalierende Wirkung zu, da keine offene Kampfbereitschaft signalisiert wird.

 

Kampfstellungen

Grundstellungen unterscheiden sich von den Kampfstellungen in der Hinsicht, dass die Grundstellungen zwar durch die hohe Position der Hüfte und die nebeneinander stehenden Füße instabiler sind und es somit schwerer ist, effektiv Kraft von vorne aufzunehmen oder nach vorne abzugeben. Daher verwendet man sogenannte Kampfstellungen (jap. 組手立ち, Kumite dachi). Sie opfern einen Teil der Flexibilität der Grundstellungen zu Gunsten von Stabilität und einer variableren Distanz zum Gegner. Die Grundstellungen erlauben dennoch starke Techniken, denn die Kraftübertragung funktioniert hier genauso wie in einer Kampfstellung, ohne jede Einschränkung. Die Faust- oder Fußtechnik ist lediglich nicht ganz so stark wie in einer Kampfstellung.

Wichtig für die Kraftübertragung ist auch die Haltung des restlichen Körpers. Alle Kampfstellungen, bei denen die Füße nicht direkt neben- oder voreinander stehen, können mit verschiedenen Hüftpositionen ausgeführt werden. Bei Angriffstechniken und beidarmigen Blocks ist die Hüfte meist frontal auf den Gegner ausgerichtet, in Bereitschaftshaltung (Kamae) und bei einarmigen Blocks ist die Hüfte 45° (in Kōkutsu dachi und Moto dachi 90°) zur Seite abgedreht. Die Verbindung zwischen Beinen und Körper wird durch das Kippen des Beckens nach vorne erreicht; dabei wird durch das Anspannen der Bauchmuskeln verhindert, dass „der Hintern rausschaut“. Der Oberkörper bleibt (mit wenigen Ausnahmen, etwa Yama zuki) die ganze Zeit in einer senkrechten Position.

Funakoshi führte zunächst nur Zenkutsu-Dachi, Kokutsu-Dachi, Kiba-Dachi, Neko-Ashi-Dachi und später Fudo-Dachi ein, im Laufe der Zeit entwickelte sich jedoch eine Vielzahl weiterer Stellungen.

Nakayama unterscheidet folgende Kampfstellungen:

 

Weiterführende Informationen: